Schweiz - Landschaft am Susten

Die große Acht – Grimselpass, Furkapass, Nufenen…

Veröffentlicht von

Diese Tour führt über fünf der bekanntesten und höchsten Schweizer Pässe und ist was für richtig hartgesottene Kurviger-Fans. Sie ist ein Klassiker, den kein Biker je vergessen wird. Einen der Pässe fahren wir im Verlauf des Tages sogar zweimal, was mit dem Namen der Tour zu tun hat. Aber davon später……

Distanz: 250 Kilometer
Fahrzeit: 4-5 Stunden
Route und GPX Download: kurv.gr/qiuGa

Anfahrt und Unterkunft

Wir sind am Vortag über unsere Standard-Route von Bregenz über Chur-Oberalppass-Andermatt weiter nach Göschenen gefahren. Links führt eine kleine Stichstraße steil nach oben bis auf ca. 1700m Höhe zu dem kleinen Weiler Gwuest.
Der 9km lange Aufstieg von Göschenen im Kanton Uri ist eine landschaftliche Überraschung für sich. Kein Verkehr, es geht zunehmend steil und bald auch in Serpentinen nach oben. Das Tal wird immer enger und hochalpiner, und bis das Gasthaus Göscheneralp erreicht ist, bewegen wir uns nur noch ein paar hundert Meter unter der Baumgrenze.

Nachdem wir unsere gebuchte Unterkunft im angenehm einfach gehaltenen Gästehaus bezogen haben, machen wir rüber in den Gasthof zum Abendessen.
Beim Betreten der Gaststube werden wir herzlich begrüßt, und auf der Hochterasse sitzend, mit steil aufragenden Bergen um uns herum, bekommen wir eine Mahlzeit, die wir in dieser urigen Umgebung in dieser Qualität nie erwartet hätten.

Die anderen Gäste hier sind wohl eher Wanderer und Bergsteiger. Denn die Umgebung ist so grandios einsam und abseits des Verkehrs, das Tal so eng und umgeben von 3000ern, dass Motorenlärm von Kraftfahrzeugen hier extrem störend wirkt.
Unwillkürlich hat man den Wunsch, Teil der Ruhe hier oben zu sein.
Ohne, dass uns jemand dazu aufgefordert hätte, haben wir unsere Bikes immer bewusst antriebslos die Auffahrt hinunter rollen lassen und auch sonst versucht, unnötigen Motorenlärm zu vermeiden.

Anschließend erkunden wir noch die Gegend, indem wir noch einmal drei Kilometer bergauf fahren zum Göscheneralpsee, auf einen kleinen Verdauungsspaziergang.
Der künstlich angestaute See lieferte ursprünglich die elektrische Energie für die Gotthardbahn und bezieht sein Wasser aus dem Dammagletscher, ungefähr 1000m höher.

Die Tour

Am anderen Morgen stehen wir gemütlich auf und es gibt Frühstück, bis die ersten Sonnenstrahlen so gegen 10 Uhr ihren Weg über die hohen Talflanken finden. Das Wetter ist blendend, wolkenlos blau, aber die Wirtin ist etwas skeptisch, ob das so bleiben wird. Wir checken Kurviger.de und legen die Route endgültig fest: Die Tour wird eine große Acht auf der Landkarte beschreiben und dort, wo die Strecke den Mittelsteg dieser Zahl 8 bildet, also ungefähr an der Grenze zwischen Zentralschweiz und dem Tessin, dort werden wir einen Streckenabschnitt sogar zwei Mal fahren, und zwar jeweils in dieselbe Richtung.
Aber hübsch der Reihe nach…….

Gössenen – Wassen – Sustenpass

Km 33 – WP 2

Wir starten in strahlendem Sonnenschein unsere Maschinen unten auf der Straße und lassen sie auf der Abfahrt ins Tal nach Göschenen ein wenig warm laufen. Das gilt nicht nur für die Motoren, sondern auch für die Bremsen, die man trotz Herunterschalten dauernd braucht. Aber das wird nur der Anfang sein, denn es wird noch sehr viel extremer werden. In Gössenen geht es links ab auf die Gotthardstraße. Bis nach Wassen beschäftigt mich die Frage, ob die parallell zu unserer Hauptstraße 2 verlaufende Autobahn das Tal nun verschandelt oder nicht. Darüber streiten sich in mir zwei Stimmen: Eine, welche das Zuschütten des Talbodens mit so viel Beton geiselt und eine andere, die voller Bewunderung ist für die Kühnheit des schweizerischer Straßen- Brücken- und Tunnelbaus.
In Wassen kippen wir die Maschinen nach links weg, hoch zum Sustenpass. Die 18 km bis zur Passhöhe sind nicht übermäßig anspruchsvoll und wären in 30 Minuten erledigt, wäre man nicht alle paar Kilometer versucht, abzusteigen und die Aussicht zu bestaunen. Da dieses Phänomen der grandiosen Ausblicke eigentlich an jeder Ecke droht, und beim Motorradfahren doch eher der Weg das Ziel ist, nimmt unser Hang zum Absteigen im Lauf des Tages notgedrungen immer mehr ab. Am Ende noch der Tunnel vor der Passhöhe und schon sind wir oben auf dem Sustenpass, in einer Höhe von 2224 m.

Innertkirchen – Grimselpass

Km 90 – WP 5

Nun wechseln wir hinüber in den Kanton Bern und genießen die 30km Abfahrt vom Susten ins Tal nach Innertkirchen. Sie ist weitaus kurviger als vorher die Aufffahrt zur Passhöhe, und man wünscht sich, die Tour doch lieber anders herum gefahren zu sein, denn die Bremsen sind wieder mal sehr gefragt.

Mit der Honda Integra fährt man hier nicht vollautomatisch, denn sonst würden die im Übrigen hervorragenden Vorderrad-Bremsen einfach abbrennen. Es wird von Hand heruntergeschaltet und nur die letzten paar Meter vor der Haarnadel kommen die Bremsen zum Einsatz.

Die 50 km zum Grimselpass vergehen mit bremsen, reinlegen, gasgeben, bremsen, reinlegen, gasgeben, bremsen und nochmal bremsen, urgs, Adrenalinschub…., REINLEGEN jetzt!, gasgeben, bremsen. Dazwischen immer wieder Blicke in die Landschaft, die sich an jeder Ecke neu formiert.

Hinter Handegg führen 2 Serpentinen-Gruppen auf ein Hochplateau, und spätestens jetzt setzt der Herzschlag aus: Eine regelrechte Seenlandschaft tut sich auf: Zuerst Räterichs Bodensee , dann 2 Spitzkehren weiter und 150m höher der Grimselsee, dann nochmals um einiges höher der Totesee, der auch gleich die Passhöhe darstellt.
Warum ich hier nur das Passschild fotografiert habe, das kann ich echt nicht nachvollziehen. Aber zum Beweis, dass ich nicht fake gibt es wenigstens das hier:

Schweiz - Grimselpass - Passhöhe
Schweiz – Grimselpass – Passhöhe

Gletsch – Furka

Km 109 – WP 7

Kennt ihr das? Wenn man nur genug Haarnadelkurven hinter sich hat und ein paar mal so an die 1000 Höhenmeter gemacht hat, dann meint man, dass das, was noch kommen kann, keine wesentliche Steigerung des …, nennen wir’s mal „Glücksgefühl“, bringen könne.
Weit gefehlt: Die in regelmäßigen Serpentinen nach unten führenden Kurven bringen nicht nur den Bremsen bei, was Arbeit wirklich bedeutet, sondern bewirken jenes hellwache Delirium, das man einem Nicht-Biker einfach nicht erklären kann.
Und so stürzen wir uns in nur 8 Minuten an die 400 m hinab nach Gletsch, hinein ins nächste Abenteuer.

Dampfbahn Furka Bergstrecke

Unten in Gletsch biegen wir links ab auf die Furkastraße , vorbei am berühmten Grand Hotel Glacier du Rhône, und überqueren, ohne wirklich drauf zu achten, die Bahngleise der Dampfbahn Furka Bergstrecke.
Die Konzentration gilt nämlich den nächsten zwei Serpentinen, auf denen es ebenso schnell wieder in die Höhe geht, wie noch kurz zuvor bergab. Dann eine lange Gerade entlang des Höhenzuges, auf der man schon mal einen längeren Blick riskieren kann, und da ist es wieder, das Gleis. Ein gutes Stück weiter kommt ein erneuter Bahnübergang in ekelhaft spitzem Winkel, wie man das als Motorradfahrer so gar nicht mag, und spätestens jetzt fragt man sich, was ein dermaßen schmales Bahngleis in dieser Höhenregion eigentlich zu suchen hat.

In der nächsten Kehre, exakt an WP 6, kommt die Auflösung: Beim Blick ins Tal, der zunächst mal allein schon wegen der Aussicht auf den zurückliegenden Grimsel-Abstieg unverzichtbar ist, entdecken wir eine Rauchfahne und nur wenig später keucht eine kleine Dampfbahn im Schneckentempo den Hang hinauf.
Es ist schon unglaublich, was Schweizer Ingenieure bereits vor hundert Jahren konnten!

Hospental – St. Gotthard Pass

Km 137 – WP 9

Die Wirtin der Göscheneralp hatte recht gehabt: Das Wetter wurde schlechter. Kurz vor der Furka Passhöhe fallen die ersten Tropfen und wir ziehen vorsichtshalber unsere Regenkombis über. Auf der Passhöhe, die immerhin die vierthöchste der Schweiz ist, machen wir nur das obligatorische Foto vom Schild und weiter geht’s ins Wallis, hinunter nach Hospental.

Auf halber Strecke, kurz nach Realp, sind einige Polizisten mit mobiler Radarmesseinrichtung so auffällig postiert, dass jedem, der da jetzt noch mit überhöhter Geschwindigkeit reinfährt, der Führerschein allein schon wegen Blindheit entzogen gehört. So viel Entgegenkommen der Staatsmacht sieht man selten.
Trotzdem eine gute Erinnerung daran, dass die Regeln hier anders sind als zu Hause.

Inzwischen haben unsere Pferde richtig Durst gehabt und wir brauchen dringend Benzin. In Hospental finden wir die wahrscheinlich kleinste Tankstelle der Schweiz. Diese mag zum Glück unsere Kreditkarten.

Übrigens: Wir werden die Strecke von Gletsch bis hierher später noch einmal fahren müssen, denn sie bildet den Mittelsteg jener 8, deren untere Hälfte wir jetzt in den Asphalt gravieren wollen. Dazu lassen wir Hospental Richtung Gotthard Pass hinter uns.

In knapp einer halben Stunde sind wir auf der Passhöhe des Gotthard, in 2108 m Höhe.

Airolo – Nufenenpass

Km 177 – WP 13

Das Wetter hat sich etwas beruhigt, aber die hohen Wolkentürme rings um uns her lassen nichts Gutes ahnen. Das Gefühl, sich beeilen zu müssen, lässt uns nicht die alte Passstraße nehmen, sondern treibt uns weiter ins Tessin, die Serpentinen der breit ausgebauten Bundesstraße 2 über die bekannte Bedretto-Kurve hinunter in den Talboden von Airolo, den wir nach 15 km Hochkonzentration erreichen. Wir orientieren uns nach rechts, hinein ins Bedrettotal in Richtung Nufenen.
Obwohl wir den beiden Bergzügen, die das Bedretto-Tal bilden, fast parallel folgen, werden die geraden Passagen der Straße immer kürzer. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Kurven mit zunehmender Höhe geradezu inflationär an, bis wir mit den letzten vier steil nach oben führenden Haarnadeln die Passhöhe des Nufenen erreichen.
Mit dem Ausklappen der Seitenständer erstirbt das Motorengeräusch, nur der Kühlerventilator kreischt hysterisch unter der Verkleidung weiter.

Wir sind in 2469 m Höhe auf dem zweithöchsten Pass der Schweizer Alpen und dem höchsten Punkt unserer Tour.

Weil die Straßen noch überall trocken sind realisieren wir erst jetzt, dass es mit dem Wetter gar nicht gut aussieht. Die Wolken hängen bereits pechschwarz über der Straße. Dass es noch nicht regnet ist eigentlich kaum erklärbar, aber vereinzeltes Donnergrollen läßt nichts Gutes ahnen. Wir schauen, dass wir weiter kommen.

Ulrichen – Furka

Km 215 – WP 7

Die steile Abfahrt hinunter nach Ulrichen lenkt uns wieder ab vom drohenden Naß. Das Anfahren der Kurven, das Herunterdrücken der Maschine und das Finden des Idealpunktes für das Aufreißen des Gashahnes, all das ist mittlerweile zur zweiten Natur geworden. Das Motorrad fühlt sich bereits an wie ein Körperteil, und zwar um einiges besser, als meine doch inzwischen recht arthrosepelagten Original-Gehwerkzeuge.

Eigentlich könnte es ewig so weiter gehen, dieses federleichte Tanzen durch die dunkel und bedrohlich tief hängenden Wolken um mich her.
„Wer reitet so spät durch Nacht und Wind….“
Wüßte ich’s nicht besser, ich würde behaupten, Goethe sei Motorradfahrer gewesen!

In Ulrichen muss ich aufhören, mich mit Erlkönig zu beschäftigen. Zum einen sind wir den schwarzen Wolken für’s Erste entkommen, zum zweiten geht es rechts ab Richtung Gletsch.

In Gletsch angekommen haben wir „Die große Acht“ fertig, und wir fahren ab hier die Strecke bis Andermatt über den Furka ein zweites Mal. Das ist nicht wirklich schlimm, denn eine Strecke zu kennen war noch nie ein Fehler.
An den Berggipfeln rund um uns herum hängen die schwarzen Wolken immer tiefer. Sie treiben uns zusätzlich an und deshalb fällt die Gangart über den Furkapass dieses Mal sportlicher aus.

Furka – Hospental

Km 234 – WP 16

Hinter Realp halte ich Ausschau nach den Polizisten mit der Radarkamera, aber die sind nicht mehr zu sehen. Dafür fällt mir dieses Mal die Bahnstrecke neben der Straße in Auge. Wie kommt die hierher?
Ich realisiere, dass dies dasselbe Bähnlein sein muss, das wir heute Morgen mit der Kamara auf der anderen Seite des Furka haben beobachten können. In Hospental sehe ich den Endbahnhof mit diesen putzigen Wagons und ich biege rechts ein zum Bahnhof und schaue mir das ein wenig an.
Dass uns gerade dieser letzte Stopp so richtig zum Verhängnis werden würde, das hätte man eigentlich ahnen können…….

Andermatt – Teufelsbrücke – Göschenen

Km 242 – WP 17

Andermatt ist schnell erreicht. Der ungewohnt dichte Verkehr im Ort ist für unsere Zweiräder nicht das Problem.
Bis Göschenen sind es nur noch 6 km, dazwischen die Teufelsbrücke und die Abfahrt hinunter zur Schöllenen-Schlucht. Normalerweise ein faszinierender landschaftlicher Leckerbissen, den man in 10 Minuten abgevespert hat. Aber leider nicht heute.

Das liegt an 3 Umständen:
1. Der gesamte Kanton Uri hat wohl beschlossen, denselben Weg zu nehmen wie wir auch.
2. Die Strecke ist im Bau und halbseitig mit Ampelanlagen geregelt. Man kann nicht mal links vorbeidrücken mit dem Zweirad, nach vorne zu den Ampeln, so eng ist es hier.
3. Es beginnt zu regnen, die aufgerissene Straße verwandelt sich in eine Schlammpiste.

An der Teufelsbrücke holt uns -literarisch betrachtet- der Erlkönig ein und zwar richtig!
Wir sitzen wie auf Kohlen im anschwellenden Regen, und irgendwann haben wir es dann doch bis Göschenen geschafft. Erleichtert biegen wir links ab, hoch nach dem sicheren Heim, der Göscheneralp, das wir jetzt noch einigermaßen trocken erreichen könnten.

Aber es werden die schlimmsten 15 km meiner Motoradkarriere.
Ohne Übertreibung! Die Wolken sind schon dunkelschwarz, aber irgendwie gibt es noch eine Steigerung. Es blitzt hellweiß und donnert im selben Moment, der Schlag ist so laut und übertönt jedes sonstige Geräusch, dass ich schon an einen Volltreffer glaube. Der Himmel öffnet die Schleußen und unsere Ausfahrt mutiert zu einem Tauchgang in tausend Meter Höhe.
Hospental – der Bahnhof, ich Esel……!
Hätte ich mal lieber meine Pobacken zusammengekniffen, dann wäre uns das hier erspart geblieben.
Man sieht die Hand vor Augen kaum, aber wir geben trotzdem verzweifelt Gas, um dieser blitzenden, donnernden, nasskalten Hölle irgendwie zu entkommen. Innerhalb von Sekunden dringt eiskaltes Regenwasser unter jede Haarwurzel. Der Lärm des Donners wird von den Steilwänden des Tales tausendfach reflektiert, es ist eine unterbrechungslos tosende, ohrenbetäubende Hölle.
Eine fürchterliche, ewige Viertelstunde später erreichen wir die Einfahrt zur Göscheneralp.

Fast im selben Moment hört der Spuk auf wie er gekommen ist und fünf Minuten später blitzen die letzten Sonnenstrahlen des Tages durch die ersten blauen Wolkenlücken.
Hospental – Bahnhof„, fährt es mir, tief ausatmend, durch den Kopf, bevor ich den Seitenständer wegklappe und erschöpft dem Auslaufen des Kühlerventilators nachhorche.

Ausklang

Natürlich gibt es nach dem Herausschälen aus dem glitschigen Zeugs, welches da als Taucheranzug herhalten musste, zuerst eine prima heiße Dusche. Und natürlich gibt es ein tolles Abendmenü drüben in der Wirtschaft. Und ebenso natürlich war der ganze Tag ein herrliches Abenteuer, gerade wegen der überstandenen Todesgefahr durch Blitzschlag und Ertrinken. Und ja, die Tauchfahrt war eigentlich super, denn sie hat ja gleich den Schlick und Schlamm der Teufelsschlucht von den Motorrädern gespült, welch ein Glück……
Wir schlafen herrlich in dieser Nacht, mit der Bergluft durchs offene Fenster.
Am nächsten Morgen packen wir unsere Sachen, etwas wehmütig, weil wir auf dem Weg nach Hause irgendwann diese herrlichen Berge werden hinter uns lassen müssen.